Die Anziehung der Knopfaugen – KLUB DIALOG

Die Anziehung der Knopfaugen

Warum es uns so schwer fällt, dem inneren Schweinhund zu widerstehen
Knopfaugen-Alarm. Foto: Maria Wokurka

Verschwitzt. Bin gestern, vorgestern und heute nicht verschwitzt vom Sport nach Hause gekommen, sondern habe es verschwitzt überhaupt hinzugehen. Naja, eher vergessen. Ok, ich hatte keine Lust. Daran bin aber nicht ich schuld, sondern der Schweinehund. Mit seinen großen Knopfaugen sieht er mich an, während er da auf der Couch liegt und säuselt, dass es doch hier auch schön sei. Serie und Leckerbissen. In diesem Moment interessiert es mich gar nicht, dass man den Schweinehund nicht wirklich sehen kann und auch nicht, dass ich mich morgen drüber ärgern werde, auf ihn gehört zu haben.

Die Couch ist nur eine Falle von vielen. Oftmals geht es ja nicht nur um Sport: Uns fallen ständig andere Sachen ein, die wir statt dem Eigentlichen, was wir machen müssten oder uns zumindest schon lange ganz fest vorgenommen haben, lieber machen. Nicht selten lösen die einen Schweinehund-Aufgaben wieder andere Schweinehund-Aufgaben ab. Nicht, dass wir große Lust hätten zu putzen, aber in Momenten, in denen wir auf etwas anderes noch weniger Lust haben, ist putzen auf einmal toll. Ist ja immer noch besser als einfach zu chillen und ’n Bier trinken zu gehen. Wenigstens sinnvoll, sagen wir uns. Der sportliche Schweinehund lässt sich etwas leichter ruhigstellen, wenn man Bewegung mag und man das, was man gerade tun soll, noch wesentlich schlimmer als die Option auf Bewegung findet. So ist der Schweinehund in all unseren Lebenslagen anzutreffen, dennoch scheint es im sportlichen Kosmos oftmals ein wiederkehrendes Ungetüm zu sein.

Es geht hier nicht um ein paar Speckröllchen zu viel oder um die Heidi-long-before-Bill-Maße. Ebenso wenig um ein Leben ganz ohne Fett und Kalorien, also ohne Freude. Es geht um das Fitfühlen im weiteren Sinne: Wie gesund fühlen wir uns mit uns selbst? Bewegung ist seit jeher ein Bestandteil unseres Alltags: Bei der Jagd, im Krieg, bei Fortschritt, in der Kultur und beim Spielen. Rein logisch gesehen müsste sich unser Körper doch instinktiv nach Bewegung sehnen. Sport war auf der einen Seite etwas, dass die Menschen anfingen aus Freude miteinander zu teilen. Auf der anderen Seite brauchten wir im Laufe der Zeit mehr und mehr Motivation für unsere Bewegung, weil die alltäglichen körperlichen Anstrengungen im Laufe der Geschichte abnahmen. Früher war Sport nötig, um zu überleben, heute leben wir so gut, dass wir Sport auch aus ästhetischen und/oder gesundheitlichen Gründen treiben.

Laut einer Studie der mhplus Krankenkasse, die vom Presseportal im Januar veröffentlicht wurde, wollte im alten Jahr jeder zweite Bundesbürger 2019 mehr Sport treiben. Sicher, diesen Vorsatz haben geschätzt 90 Prozent davon alle Jahre wieder. Vor allem im Winter sei das Aufraffen zum Sport allerdings besonders schwer, so die Studie.

Draußen klappt’s meist besser mit dem Sport 😉 Foto: Ben Currie

Warum wir Routine brauchen

Anke Bösmann und Rainer Muche haben 2009 das Unternehmen GesundheitsCoaching Bremen gegründet. Hier bieten die beiden umfassendes und ganzheitliches Coaching für Einzelne und Unternehmen an: Stressbewältigung, Life Balance, Resilienz, Selbstmanagement, Autogenes Training, den Rücken stärken, Laufen für Einsteiger und Fortgeschrittene sowie Coachings zur gesunden Ernährung. Rainer Muche ist Dipl. Wellness- und Gesundheitstrainer sowie Fitness-Trainer und erklärt, warum der Schweinehund zurückkommt: „Ich laufe seit Jahren fast jeden Tag. Erreicht man einmal diesen Punkt, gehört das Laufen genauso zum Alltag wie Essen oder Schlafen. Es wird Routine. Von Natur aus ist der Mensch aber eher träge. Sobald man rauskommt, beispielsweise aufgrund von Krankheit, muss man erst mal wieder in den Rhythmus kommen. Diese Trägheit, den inneren Schweinehund, gilt es immer wieder zu besiegen, bis die Routine wieder da ist.“

Schon oft war ich an dem Punkt, gerne Sport zu machen. Dann habe ich es auch immer konsequent für eine längere Zeit durchgezogen. Der säuselnde Ich-gönn-mir-die-Couch-Schweinehund konnte mich nur noch selten überzeugen. Und jetzt? Mal ein paar Tage weg, eine Woche viel zu tun gehabt und das Ungetüm mit den Knopfaugen ist zurück. „Wir Menschen neigen dazu, uns auf die kurzfristigen Konsequenzen auszurichten. Die Schokolade schmeckt mir jetzt gut, die Couch lockt jetzt zum Ausruhen. Geben wir diesen kurzfristigen Genüssen häufig nach, spüren wir auch die schleichenden Konsequenzen“, sagt Muche.

Ohne Kraft geht’s nicht!? Foto: Farina Schröder

Ich fühle mich ertappt. Deshalb habe ich vor ein paar Wochen angefangen fast jeden Tag Sport zu machen. Auch das sei laut Muche nicht unbedingt förderlich, da es am Anfang relativ leicht ist, dabei zu bleiben. Die Euphorie steigt und hier muss man sich eventuell etwas bremsen, da es sonst schnell zu anstrengend wird und wir dazu tendieren, wieder aufzuhören. Stetige Entwicklung und Erfolge statt zu viel auf einmal. Der 57-Jährige setzt auf den Mix aus Förderung und Kontinuität: „Gut ist es, solange wir uns gut fühlen. Nur wenn man sich fordert, entwickelt sich der Körper auch weiter. Durch Überforderung hingegen verliert man schnell Freude an der Bewegung.“

Die innere Einstellung zählt

So weit, so gut. Also habe ich nach dem hundertsten Mal Schwein oder Hund und Auge oder Knopf überwinden von vorne angefangen. Hab jetzt einen Trainingsplan im Fitnessstudio. Zusätzlich gehe ich zum Tanztraining, ab und zu zum Pilates – denn Ausgleich Cardio und Muskelaufbau ist ja wichtig, hab‘ ich gehört. Ernährung ist bis auf die Ich-ess-alles-was-ich-finden-kann-Tage – die passieren ja nur hin und wieder oder immer öfter – ok. Dennoch fühle ich mich nicht so richtig fit, könnte mehr sein. Da fehlt noch was, erklärt Diplom-Psychologin und Systemische Therapeutin Anke Bösmann: „Ganz entscheidend ist meine innere Einstellung und Haltung, mit der ich arbeite, Sport treibe, esse bzw. letztendlich lebe! Ich kann ‚supergesund‘ leben, d. h. weitestgehend gesund essen und Sport treiben, wenn ich das aber mit einer eher negativen, verbissenen, getriebenen oder gar feindseligen inneren Haltung mache, dann profitiert die Gesundheit nicht sehr, manchmal eher im Gegenteil.“ Heißt also: Weder Popeye’s grüne Wunderwaffe, noch die Crosstrainer-Sucht bringen was, wenn’s im Kopf nicht stimmt. „Unser Gehirn macht aus Psychologie sofort Biologie. Das bedeutet: Jeder Gedanke löst Körperreaktionen aus und auch Gefühle“, erklärt Bösmann. „Daher ist die Qualität unserer Gedanken sehr entscheidend für unsere Gesundheit.“

Jedes der vielen kleinen Probleme, die wir im Alltag mit uns herumtragen, kann – wenn wir uns dadurch stressen lassen – zum Grübeln führen. Ab und zu kommen die großen Probleme noch hinzu, spätestens dann sind die Gedanken negativ belastet. Das innere Wohl kann durch gesunde Nahrung und Sport nur bedingt beeinflusst werden. Und ja, wenn ich es mir recht überlege, bin ich vielleicht mit manchen Umständen nicht ganz zufrieden. Grübele. Aber Grübeln ist doch nicht immer schlecht und auch die grauen Gedanken gehören zum Leben dazu. Bösmann hält ausschließlich positive Gedanken ebenfalls für unrealistisch, weiß aber, dass ein gewisser Umgang mit negativen Gedanken viel bewirken kann: „Studien zeigen, dass positive Gefühle wie Freude, Liebe, Dankbarkeit etc., immens wichtig sind für unsere Gesundheit. Dabei geht es nicht darum, möglichst keine Gefühle wie Ärger oder Wut etc. zu empfinden. Auch negative Gefühle haben eine Funktion für uns. Es geht darum, die negativen Gefühle zwar wahrzunehmen, aber nicht darin zu versinken.“

 

Eine positive Haltung lässt sich laut Bösmann einüben und trainieren und bezieht sich auf die Hirnforschung. Die sagt, dass unser Gehirn ein Leben lang veränderbar ist und wir dadurch immer neue Gewohnheiten, auch Denkgewohnheiten, einüben können.

Inzwischen habe ich mich mit dem Sport etwas entspannt. Bei der Ernährung mache ich mir nichts mehr vor: Ich akzeptiere, dass ich wohl kann, wenn ich will, aber auch, dass ich nicht immer will. Der Rest mit den Gedanken und so ist ein hartes Stück Arbeit. Mittlerweile versuche ich zu verstehen, dass es wichtige Arbeit ist.

Nur gesund ist schwer 🙁 Foto: Maria Wokurka

Dafür kann man dann aber auch mal sagen: Spinat-Popeye am Popo. Und sich dann zu den Knopfaugen auf die Couch legen.

 

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