„When she talks, I hear the revolution“ – bikini kill – KLUB DIALOG

„When she talks, I hear the revolution“ – bikini kill

Vor 100 Jahren durften Frauen in Deutschland das erste Mal wählen. Weltweit liegt Deutschland damit gar nicht so schlecht. Finnland führte als erstes europäisches Land 1906 das Frauenwahlrecht ein. Seitdem ist viel passiert  Pille, Abschaffung des Kuppelparagrafen, Vergewaltigung in der Ehe ist endlich strafbar (auch wenn einige Christdemokraten sich das anders gewünscht hätten), gleichgeschlechtlich Lebende dürfen nun auch endlich der Kapitalisierung ihrer (Zweier-)Beziehung nachgehen und sich ehelichen. Hurra! Oder etwa nicht?

Hedwig Dohm sagte schon zu ihren Lebenszeiten „Man kommt sich auf dem Gebiete der Frauenfrage immer wie ein Wiederkäuer vor.“ Doch wer war diese Frau? Hedwig Dohm gilt als eine der klügsten und progressivsten Frauenrechtlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts. 1831 wurde sie geboren und verstarb im Jahr 1919, kurz nach den ersten Wahlen, bei denen auch Frauen endlich mitentscheiden durften. Viele ihrer Forderungen wirken bis heute und sind noch immer nicht erreicht.

Durch Dohms Auffassung, dass Geschlecht und geschlechterstereotype Eigenschaften ansozialisiert werden und nicht biologischen Ursprungs sind, kann sie als Vordenkerin der modernen Geschlechterwissenschaft gesehen werden. Und das fast 80 Jahre bevor Geschlechterwissenschaften zu einem an den Universitäten akkreditierten Studienfach wurde und die Kategorie Gender zu einer Analysekategorie der Wissenschaften.

Rechtlich ist doch heute alles klar, oder?

Weiter forderte Dohm die gleiche Bildung für Männer und Frauen, ökonomische Selbstbestimmung der Frau und die in Institutionen verlagerte Care-Arbeit, also die unbezahlte und bezahlte Sorgearbeit sprich Kinderbetreuung, familiäre Unterstützung, Pflegearbeiten und Ähnliches.

Dohm forderte dies, damit jede Frau ihrer Profession nachgehen könne und keine Frauen mehr gezwungen waren, aus Versorgungsgründen zu heiraten. Auch was vermeintliche biologische Mütterlichkeit anging, hatte sie eine unangepasste Meinung: „Der Mütterlichkeit muss die Speckschicht der Idealität, die man ihr angeredet hat, genommen werden.“

Dohm rebellierte gegen Normen, die von den meisten Menschen für viele Jahrzehnte unhinterfragt blieben.

Und heute? Rechtlich scheint doch alles klar zu sein. Die Gleichberechtigung zwischen den binären Geschlechtern Mann und Frau ist im Grundgesetz verankert mehr Verbindlichkeit ist eigentlich nicht möglich. Ist der aktuelle Feminismus rebellisch oder sind feministische Strukturen soweit institutionalisiert, dass von keinem Aktivismus mehr gesprochen werden kann? Da es keine rechtlich bindende Definition von Feminismus gibt, muss jede Person für sich selbst eine Definition finden. Für mich bedeutet Feminismus ein Hinterfragen normgebender Strukturen, ein Kämpfen für eine Gleichberechtigung aller Geschlechter (Spoiler: Es gibt mehr als zwei) und ein Wunsch nach einem solidarischen Miteinander.

Illustration: Brigitte Boomgaarden alias moni.lang.art

Der heterosexuelle Mann als Retter

Trotzdem ist es im Jahr 2018 für Frauen, monetär gesehen, am besten einen Mann zu heiraten. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Rente. Die Forschungen von Prof. Dr. Jutta Allmendinger zeigen, dass nicht eine bestimmte Ausbildung, nicht tausend Praktika eine Frau vor Altersarmut retten, es ist der MANN, beziehungsweise die Strukturen, die ermöglichen, dass der Heiratsmarkt sich „mehr finanziell lohnt“ als die eigene Berufslaufbahn. „Der Mann als Held“, „der Retter“, „der Versorger“. Wer sich jetzt fragt, ob ich mich in der Jahreszahl geirrt habe  leider nein. Wer meint, dass es ja auch daran läge, dass Frauen sich häufiger die schlechter bezahlten Jobs aussuchen würden, aka „Augen auf bei der Jobwahl“, dem stimmte ich nur bedingt zu.

Es sollte reflektiert werden, warum in bestimmten Bereichen, in denen überdurchschnittlich viele Männer arbeiten, die Entlohnung sehr hoch (MINT- Bereich) und im Care-Bereich (Pflege etc.) sehr niedrig ist. Die ungerechte Bezahlung hat bestimmt nichts mit Fleiß, Ausdauer oder Zuverlässigkeit zu tun, es ist schlicht eine ungerechte Entlohnung. Und hierbei geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um gesellschaftliche Anerkennung.  Jede Person sollte für sich hinterfragen, warum bestimmte Tätigkeiten anders honoriert werden.

Trotzdem verqueren sich viele junge Frauen gegen eine sogenannte „Frauenquote“. Es gäbe ja schließlich auch keine Männerquote, doch um ein Beispiel von Jutta Allmendinger zu nennen: „Dabei machen sich viele Frauen nicht klar, dass auch Männer quotiert sind. Wenn 70 Prozent der börsennotierten und mitbestimmten Großunternehmen eine Zielgröße von null Prozent Frauen im Vorstand festlegen, haben wir ja Quotenmänner.“

Illustration: Brigitte Boomgaarden alias moni.lang.art

Sind wir gesellschaftlich nicht schon viel weiter als „Frauen wollen endlich so viel verdienen wie Männer“?

Schön wäre es, wenn Geschlecht keine strukturweisende Kategorie mehr wäre, sondern Menschen in Gleichheit leben würden, und es keine Benachteiligungen aufgrund von Race, Klasse, Ability oder Geschlecht gäbe. What a wonderful world!

Wie ist es 100 Jahre nach dem Tod Dohms möglich, dass wir überhaupt häufig auf strukturellen Ebenen in den starren binären Mann-Frau-Kategorien denken, obwohl Dohm im 19. Jahrhundert bereits Thesen und Theorien aufstellte, die dies in Frage stellen? Viele von Dohms Forderungen sind auch heute noch nicht erreicht. Auch wenn mehr Frauen in Machtpositionen sind, ändert es wenig am ungerechten System. Nur weil wir in Deutschland eine Bundeskanzlerin haben, gibt es trotzdem beispielweise einen erheblichen Pay-Gap zwischen Männern und Frauen und viele Frauen sind von Altersarmut betroffen. Denn auch die Gruppe der Frauen ist keineswegs eine homogene, somit verschleiern privilegierte Frauen häufig die Ungerechtigkeiten, die prekär lebende Frauen betreffen.

Doch solange das System ungerecht ist, kann es keine Gleichberechtigung geben nicht zwischen Männern und Frauen, nicht zwischen PoC* und Weißen, nicht zwischen Cis* und Trans*, für keine Personen.

Das heißt für mich, dass wir alle gemeinsam gegen das System rebellieren müssen, Normen müssen gebrochen werden und das schaffen wir nur gemeinsam. Somit braucht es einen Feminismus, der rebelliert, keinen der sich nur um die privilegierten Frauen kümmert, die die Karriereleiter möglichst schnell hochwollen, sondern einen, der sich für alle Menschen und auch besonders für ALLE Frauen einsetzt. Bis nicht alle frei sind und alle die gleichen Möglichkeiten haben, können wir nicht schweigen.

„Glaube nicht, es muß so sein, weil es so ist und immer so war. Unmöglichkeiten sind Ausflüchte steriler Gehirne. Schaffe Möglichkeiten.“ Hedwig Dohm

Lasst uns gemeinsam Möglichkeiten schaffen!

 

*PoC: Person of colour, positiv konnotierter Begriff für nicht-weiße Menschen
*Cis: Cisgender, also Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, dem sie nach der Geburt zugeordnet wurden
*Trans: Transgender, also Personen, deren Geschlechtsidentität oder Geschlechtsrolle von dem Geschlecht abweicht, dem sie nach der Geburt zugeordnet wurden

Die Autorin

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