Den Boden unter den Füßen verlieren … und ihn wiedergewinnen – KLUB DIALOG

Den Boden unter den Füßen verlieren … und ihn wiedergewinnen

Ein Jahr Auszeit und die Rückkehr in die "normale" Welt

Ich sitze hier in Bremen, bei meinen Eltern auf Terrasse. Es ist schon etwas kühl, aber damit ich nicht friere, habe ich mir Papas warme Jacke angezogen und eine Kanne Tee gekocht. Gerade eben habe ich ein Bild meiner Reise bei Instagram gepostet. Die Bildunterschrift: „Während ich so an meinem Artikel übers Langzeitreisen und die Rückkehr ins „normale Leben“ feile, wird mir bewusst, wie spannend „gewohnte“ Wege (wieder) sein können, wenn man sie mal für eine Weile verlassen hat… Neues gibt es eben überall zu entdecken! :)“ Dies ist dann wohl auch das Fazit meiner Geschichte, die ich nun erzählen werde:

Surfen auf Bali, Foto: Claudia Adam

Januar 2016. Ich sitze im Flieger Richtung Bangkok. Alleine. Mit einem Oneway-Ticket. Ich habe beschlossen, mein Leben in Deutschland eine Weile hinter mir zu lassen. Für wie lange? Keine Ahnung. Wo es hingehen soll? Kann ich auch nicht so genau sagen… Mein Ticket geht bis Bangkok, von dort will ich direkt weiter nach Kambodscha. Mehr weiß ich noch nicht. Kurz: Ich habe keinen Plan! Ich weiß nur, dass es mich wieder in die Ferne zieht. Viel zu lange hatte ich meinen Traum „irgendwann einmal im Ausland zu leben“ aus den Augen verloren. Zu fern schien mir dieses „irgendwann“ zu geraten… Vielleicht nicht mehr greifbar, wenn ich nicht endlich Taten sprechen lassen würde. Deshalb beschloss ich „irgendwann ist JETZT“.

In Bangkok treffe ich mich zunächst mit einem Freund, der auch gerade in Asien unterwegs ist. Ich fühle mich zunächst etwas sicherer, doch es stellt sich schnell heraus, dass wir nicht das Gleiche wollen. Er liebt Städte, ich die Natur. Er ist schon im Travel-Modus, ich weiß irgendwie nichts mit mir und der ganzen Zeit, die ich plötzlich habe, anzufangen, fühle mich nicht wohl. Mir wird bewusst: Ich muss meinen eigenen Weg gehen, meine eigenen Entscheidungen treffen!

Die Angst vorm Alleinsein ist plötzlich wieder da, ich spüre sie ganz deutlich. Mir kommt der Gedanke, dass es eine ganz schön doofe Idee war, diesen Schritt zu gehen. Aber nur kurz. Dann sage ich mir „Augen zu und durch“ und folge meiner inneren Stimme: Ich steige alleine in den Nachtbus Richtung Süden Kambodschas – was ich jetzt brauche ist Strand und Meer!

Erkundungen in Tonga I Foto: Claudia Adam
… und dann ein Schläfchen I Foto: Claudia Adam

Die ersten Versuche von anderen, mit mir Kontakt aufzunehmen vermassel ich gewaltig – mir fehlt es definitiv an Mut und Selbstvertrauen! Aber auch diesbezüglich schaffe ich es, meinen inneren Schweinehund zu überwinden und stelle fest: Ich brauche keine Angst davor zu haben, Leute anzusprechen. Die Angst vor Zurückweisung wird weniger, ich fühle mich sicherer, mutiger, freier. Es geht sogar soweit, dass ich jetzt sage, dass trotz des holprigen Starts Begegnungen meine Reise im Endeffekt zu dem gemacht haben, was sie ist. Mit einigen Leuten, die ich traf, führte ich inspirierende Gespräche, mit einigen reiste ich ein paar Tage zusammen und manche traf ich auch mehrmals auf meinem Weg, habe noch heute Kontakt.

Begegnungen haben seit dem einen ganz anderen, sehr hohen Stellenwert bei mir im Leben und ich versuche jedem Menschen so offen und unvoreingenommen entgegenzutreten, wie ich kann. Mit dieser (neuen) Einstellung bin ich nicht nur auf Reisen viel glücklicher, ich stelle auch hier immer wieder fest, dass sich so Wege aufzeigen, die ich sonst vielleicht nie erkannt hätte.

Zurück zur Reise: Nachdem also der Knoten geplatzt war fange ich schnell an, mich einzugrooven. Meine Zeit komplett selbst einteilen zu können gefällt mir immer besser. Die Angst weicht der Entspannung, ich habe das Gefühl, mit mir selbst so im Reinen zu sein wie nie zuvor. Eine Weile bin ich fest davon überzeugt: Ich will nie wieder etwas anderes machen, als reisen!

Doch je länger ich von Zuhause weg bin, desto mehr schleicht sich auch noch etwas anderes ein: das Freunde- und Familienweh! Es ist super, neue Leute kennenzulernen, aber irgendwie fehlt mir nach einer Weile die Konstante, das Tiefgründige und Vertraute. Ich habe Zuhause eine tolle Familie und tolle Freunde, die ich zum Teil noch aus dem Kindergarten kenne. Ich vermisse sie schrecklich und fange an mich zu fragen, warum ich eigentlich nach Veränderung strebe. Was ist es, das ich im Leben vermisse? Ich glaube in dem Moment wird mir unterbewusst klar, was ich heute ganz deutlich vor mir sehe: Für mich zählen die Menschen in meinem Leben am meisten. Ein Ort kann noch so schön sein, die Sonne noch so oft scheinen – auf Dauer werde ich nicht glücklich, wenn ich meine Zeit nicht mit den Menschen teilen kann, die ich liebe…

Foto: Claudia Adam

Deswegen bin ich auch gar nicht böse, als meine Zeit weit weit weg von Zuhause (erstmal) zuende ist: Ende Juli mache ich mich auf den Weg zurück nach Europa. Zuerst nach London, dann in die Niederlande und schließlich für ein paar Wochen nach Deutschland. Zwei Freunde heiraten und ich versuche, mich mit so vielen meiner Lieben zu treffen, wie es geht. Die Zeit vergeht wie im Flug und der bevorstehende Abschied trübt die Vorfreude auf Portugal. Dabei wollte ich doch schon soooo lange mal dort hin. Es hat sich etwas verändert. Mein Schwung und Elan, meine starke Sehnsucht nach der Reiserei ist plötzlich getrübt. Aber bleiben? In Bremen? Irgendwie zu dem Zeitpunkt auch keine Option…

Dann passiert etwas, das meinem Leben eine erneute Wendung gibt: Meine Schwester schickt mir ein Video von meinem zweieinhalb Jahre alten Neffen, in dem er ganz stolz die Yogaübungen nachmacht, die ich ihm gezeigt habe. Irgendwie berührt mich das sehr und in diesem Moment ploppt etwas in mir hoch: Ich will Yoga-Lehrerin werden. Für Kinder! Ich möchte ihnen Möglichkeiten zeigen, wie sie sich entspannen können. Je früher sie herausfinden, was ihnen gut tut und wie sie ihre Energien sinnvoll für sich nutzen können, desto besser. Ein Samen ist gepflanzt…

In Portugal angekommen fällt mir das (alleine) Reisen zunächst wieder echt schwer. Ich merke, dass ich gerade keine Lust mehr auf Smalltalk habe und sacken lassen muss, was in den letzten Monaten alles passiert ist.

Spaziergang mit meinem Neffen I Foto: Claudia Adam

Schließlich fasse ich einen Entschluss: Ich werde noch bis Ende Oktober reisen, dann nach Deutschland zurückkehren, nach Mannheim zu meiner Schwester, meinem Schwager und den Kindern ziehen und einen Neuanfang starten. Neue Stadt, neuer Job, die Yogalehrer-Ausbildung. Vielleicht auch eine neue Liebe? Klingt doch super! Sobald ich diesen Entschluss gefasst habe, ändert sich auch meine Laune wieder. Ich bin total aufgeregt und zu 100 Prozent davon überzeugt, dass alles ganz toll wird! Motiviert und voller Tatendrang fliege ich zurück nach Deutschland.

Zurück in die Realität…

Zurück in Deutschland trenne ich mich von meiner Wohnung in Bremen. Ich verkaufe viele meiner Sachen, da ich in Mannheim nur ein Zimmer in einer WG haben werde – da ist kein Platz für all die Dinge, die sich angesammelt haben. Aber das muss es auch gar nicht. Ich habe jetzt eine ganze Weile aus nur einem Rucksack gelebt, das ging auch. Vieles, von dem ich dachte, dass ich es brauche, hat für mich an Wichtigkeit verloren. Ich freue mich auf die Zeit in Mannheim und bin froh, dass ich so kurzfristig ein schönes Zimmer gefunden habe. Abenteuer neues Leben? Ich bin bereit!

Was dann kommt, ist ein Auf und Ab der Gefühle… Die Zeit mit meiner Schwester, meinem Schwager und den Kindern genieße ich sehr. Es gibt aber noch die andere Seite. Regeln, Strukturen, jede Menge Absagen statt sofort einen super tollen Job zu bekommen, die Selbständigkeit nicht so leicht greifbar wie gedacht, Verwirrtheit über „was will ich denn eigentlich?“ und der kalte Winter machen es mir nicht so leicht, wie gedacht. Immer wieder erwische ich mich selbst dabei, wie ich mit dem Gedanken spiele, einfach wieder alles einzupacken und abzuhauen.

Dann beginnt endlich meine Yogalehrer-Ausbildung, die mir unheimlich Spaß macht und mir wieder neuen Schwung verleiht. Im Anschluss mache ich noch eine Ausbildung zum Coach, die mir viel auch über mich selbst verrät. Ich habe das Gefühl, die letzten 1,5 Jahre haben so viel bei mir verändert, so viel Staub aufgewirbelt. Doch nach und nach lichtet sich mein innerliches Chaos und dann, plötzlich, ganz klar, kann ich es fühlen: Ich will zurück nach Bremen! Ich vermisse meine Heimat!

Ich hätte niemals gedacht, dass ich je so fühlen würde, aber es ist wahr! Während ich früher immer über Bremen geschimpft habe, denke ich plötzlich: Scheiß auf Regen – muss ich mir halt Regenkleidung kaufen! Ich sehne mich nach Zuhause! Deswegen beschließe ich, die Zelte in Mannheim abzubrechen und mich in Bremen zu bewerben…

Etwa einen Monat später packe ich den Umzugswagen und es geht los. Ich freue mich auf meine Heimat und den neuen Job. Und ich freue mich, anzukommen. Zu bleiben… Ich will damit nicht sagen, dass ich nie wieder reise, um Gottes Willen! Das werde ich ganz sicherlich. Aber ich setze mich diesbezüglich nicht mehr so unter Druck. Der Plan, im Ausland zu leben war nicht der Richtige? Okay, dann ist das eben so! Ob das für immer so bleibt? Weiß ich nicht! Vermutlich werde ich es nicht ewig schaffen, mir diese positive Einstellung hier in dem Ausmaß zu wahren, in dem sie derzeit vorhanden ist, denn ich vermisse Sonne, Strand und Meer so ziemlich jeden Tag und nicht alles an Deutschland gefällt mir… aber eins werde ich hoffentlich nie wieder vergessen:

Es zählt nicht das, was man nicht hat, sondern das was man hat! Und ich kann mich verdammt glücklich schätzen mit dem, was ich habe!

Foto: Claudia Adam

Allein dieser Erkenntnis wegen würde ich alles noch einmal genauso machen, könnte ich die Zeit zurückdrehen. Denn trotz Momenten des Zweifelns und der Verwirrung, war ich lange nicht mehr so glücklich und habe lange nicht mehr so viel, so herzlich gelacht, wie seit ich beschlossen habe, mir diese Auszeit zu nehmen. Ich bin bei Vielem entspannter geworden und habe gelernt: Mit Geduld und Vertrauen, Kopf und Bauchgefühl findet man seinen Platz im Leben – auch in der „normalen“ Welt.

Wie lange ich noch so denke? Ich weiß es nicht… Aber bis dahin radel ich grinsend durch den Regen und denke mir „hach, ist das schön!“

Die Autorin

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