Warum tanzen fehlt – KLUB DIALOG

Warum tanzen fehlt

Ein Sehnsuchtstext
Foto: Lena Richter

„That’s why dancing feels so primal,
your body moves because
it wants to be part of the music,
and it is part of the music.“

–   Perel, Techno-Musikerin und DJane

 

Ein Samstagnachmittag im Mai 2020, irgendwo in NRW. Es ist einer dieser Frühsommertage voll lauer Luft und strahlendem Blau. Ich sitze im Bulli meiner Schwester, habe das erste Mal seit Wochen den Norden verlassen. Familienbesuch mit Abstand. Wir halten an einer Landstraße, aus den Autoboxen summt ein melancholisches Elektro-Set, aufgenommen auf einem Festival im vergangenen Sommer.

Mich überkommt plötzlich eine wahnsinnige Sehnsucht. Weite Felder, brennende Sonne, wummernde Bässe. Nicht enden wollende Tage, der Geruch von aufgewirbeltem Staub, Schweiß-Sonnencreme-Gemisch auf der Stirn. Die ganze Nacht hindurch tanzen. Lange ist es her, dass ich mich in diesem Gefühl verloren habe: mit anderen Menschen in einer Art weltversunkenen Ekstase Richtung Sonnenaufgang wabern. Oder in dunkle Kellergewölbe eintauchen. Hinein in eine Parallelwelt, die so gar nichts mit Alltag zu tun hat.

Was ist das für ein Zustand und warum fehlt dieser in Zeiten von geschlossenen Clubs und Abstandsregeln so sehr? Es klingt fast ein wenig platt, aber: Wer tanzt, lässt los. Von unliebsamen Gedankenkreisen, davon irgendetwas erreichen zu wollen oder leisten zu müssen. Bewegung, einfach um der Bewegung willen. Ohne Intention ganz und gar im Jetzt sein. Sich selbst spüren und gleichzeitig auf einer tiefen, nicht-sprachlichen Ebene mit anderen im Kontakt sein. Synchronisierte Silhouetten im Takt dröhnender Bässe. Sich mit eigentlich Fremden auf besondere Art fast intim verbunden fühlen. Ein Verliebtsein in den Moment, in diese Energie, die durch Musik und Verbundenheit entsteht.

 

„Tanzen ist wie schweigend miteinander im Gespräch zu sein. Einander ganz viel sagen, ohne ein einziges Wort zu verlieren.“

–   Yuri Buenaventura, kolumbianischer Musiker

Foto: Lena Richter

 

Wir verlassen die Landstraße und ziehen weiter, für mich geht es zurück nach Bremen. Das öffentliche Leben erwacht hier langsam aus seinem zwangsverordneten Frühlingsschlaf. Lebendiges Treiben auf den Straßen, Cafés voller Menschen. Clubs und Konzerthäuser aber sind weiterhin geschlossen, die Tanzflächen leer. Alles, was mir bleibt, ist die Vorfreude darauf, dass das alles irgendwann wieder möglich sein wird: Wenn der Abend mit Freunden am Deich nicht mehr um Mitternacht endet. Wenn wir wieder weiterziehen können, uns treiben lassen von der unbändigen Lust zu tanzen und der Ungewissheit, was die Nacht noch mit sich bringt.

Was für mich ein Sehnsuchtsthema ist, bedeutet für Veranstalter, Clubbetreiber, Musiker und Künstler existenzbedrohende Realität: Seit mehreren Monaten geschlossene Läden, keine Einnahmen bei weiterhin laufenden Kosten – und ein Ende nicht in Sicht.

Wer die hiesigen Clubs unterstützen und dazu beizutragen möchte, dass diese auch über die Krise hinaus bestehen, kann dies auf unterschiedliche Weise zum Beispiel auf www.clubverstaerker.de oder im Soli-Shop von united we stream bremen tun.

 

Einsame Bremer Tanzflächen


Kaum vorstellbar, dass hier noch vor ein paar Monaten der Bass bebte: Die Tanzfläche des Römer. Foto: Lena Richter

 


Gleicht einem Lost Place: Der Tower, seit Monaten unbesucht. Foto: Lena Richter

 


Gähnende Leere statt Schlange stehen am Anleger: Die MS Treue an einem Samstagabend. Foto: Lena Richter

 


Auch im Inneren verlassen: Die leere Tanzfläche der Treue. Foto: Lena Richter

Die Autorin

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