Das Spontane lieben lernen – KLUB DIALOG

Das Spontane lieben lernen

Rüdiger Schnirring trainiert IT-Teams mit Methoden des Improtheaters

Alles bleibt anders: Veränderung ist in der Softwareentwicklung heute die einzige Konstante. Kundenwünsche ändern sich schnell und Marktbedingungen noch schneller. IT-Experten müssen spontan darauf reagieren. Wie stärkt man die Kompetenz in Sachen Flexibilität? Zum Beispiel mit Improvisationstheater. Rüdiger Schnirring ist Berater bei der Bremer HEC GmbH und trainiert agile Entwickler-Teams mit Methoden aus der Bühnenwelt.

Rüdiger, welche Stärken hat das Improtheater, von denen IT-Teams lernen können?

Es gibt fünf Kernqualitäten im Improtheater, die genauso für agile Teams wichtig sind: Vertrauen, Spontanität, Status, Empathie und Storytelling. Ob Vertrauen besteht, wird auf der Bühne sehr schnell deutlich. Wenn zum Beispiel jemand einen Blackout hat, dann muss er sich darauf verlassen können, dass seine Bühnenpartner ihn auffangen. Für IT-Teams gilt das auch. Sie entwickeln ja gemeinsam Produkte. Im Grunde ist dann die Präsentation vor dem Kunden wie eine Bühne.

Was sind „agile Teams“?

Agile Teams sind für Leute, die eigenverantwortlich arbeiten wollen, ohne Vorgesetzte und Hierarchien. Das Team entwickelt autonom für einen Kunden schrittweise ein komplexes Produkt. Die Entwicklungszyklen sind dabei kurz, zum Beispiel zwei bis drei Wochen, also kurz genug, damit das Kundenfeedback direkt danach einfließen kann. Oberstes Ziel ist die Auslieferung von etwas, was der Kunde aktuell tatsächlich braucht. Und das ist meist nicht das, was er ursprünglich bestellt hat. „Scrum“ ist zum Beispiel eine sehr beliebte Vorgehensweise agiler Teams. Da ist gerade ein Boom.

Rüdiger Schnirring verbindet IT und Improtheater.

Welchen Beitrag kann das Improtheater leisten?

Bei der agilen Softwareentwicklung wird intensiv mit dem Kunden zusammengearbeitet. Das ist wie beim Improtheater, wo man sich Vorgaben vom Publikum holt, zum Beispiel an welchem Ort etwas spielen soll, um welchen Beruf es geht oder was der erste Satz ist. Beim agilen Arbeiten geht es – wie im Improtheater – auch darum, sich Feedback zu holen und keine Angst davor zu haben. Jedes Feedback ist willkommen, je früher, desto besser. Das Publikum antwortet ja auch sofort: es klatscht, lacht oder buht.

Da ist dann auch Spontanität gefragt.

Ja, richtig. Man muss spontan auf Änderungen reagieren können, auf neue Kundenwünsche oder auf Änderungen der Marktbedingungen. Das ist beim Improtheater ja auch so.

IT hat den Ruf, etwas nerdig zu sein. Improtheater ist so ziemlich das Gegenteil. Wie bist du auf die Idee gekommen, das eine mit dem anderen zu verbinden?

Eine schöne Regel lautet: Scheiter Heiter!

Das eine ist mein Beruf. Seit sechs Jahren arbeite ich in agilen Teams. Die brauchen eine ausgeprägte Kommunikationskultur und gut entwickelte Soft-Skills. Sonst klappt das nicht mit dem intensiven Austausch nach allen Seiten. Das andere, Improtheater, ist mein jahrelanges Hobby. Ich konnte so beides auf spielerische Art verbinden.

Agile Teams müssen ja experimentierfreudig und mutig sein. Nach dem Motto: Eine Idee einfach mal ausprobieren und wenn sie nicht funktioniert – wegschmeißen. Man braucht natürlich eine entsprechende Fehlerkultur. Auch im Improtheater wird eine Szene probiert und fallengelassen, wenn sie nicht passt. Eine schöne Regel lautet: „Scheiter heiter!“

Das eignet sich sicher nicht für jede Art der Problemlösung…

„Scrum“ passt gut für wirklich komplexe Aufgabenstellungen. Das ist also nur etwas für den Nicht-Standard-Bereich, und der wird ja überall größer.

Wie sieht das Impro-Coaching ganz konkret aus?

Es gibt zum Beispiel eine Scrum-Methode bei der sich das Team alle zwei Wochen zur Retrospektive trifft. Man ist völlig frei, alles was hilfreich ist zu machen – auch Improtheater. Man kann versuchen, spielerisch zurückzublicken und kreative Areale im Gehirn zu aktivieren. Um Hürden zu überwinden gibt es eine Menge an Aufwärmübungen,  die dafür sorgen, dass man in eine humorvolle Spiellaune kommt. Übungen, bei denen man Lust bekommt, etwas auszuprobieren. Wo der Spaß über die Angst siegt. Dieses grundlegende Mindset kann man trainieren.

Es gibt zum Beispiel Elemente, wie „unser letzter Sprint als Story“. Da soll die Geschichte des letzten Software-Entwicklungszyklus rückblickend erzählt werden: Was waren besondere Ereignisse? Wo waren Krisen zu überwinden und was war schmerzvoll? Können wir es als Abenteuergeschichte erzählen oder als Fußball-Live-Ticker? Haben wir gewonnen? Gab es ein Happy End?

Als weitere Kernqualität des Improtheaters hast du den Umgang mit Status genannt. Was heißt das?

Ein ganz wichtiger Punkt ist Statusflexibilität. Offiziell hat jeder im Team denselben Status. Aber inoffiziell übernehmen Menschen ja oft von selbst besondere Rollen darin. Der Status reguliert nun aber, wie viele Vorschläge jemand macht und wie viele von anderen er zulässt. Wenn einer immer die „Säule des Projektes“ ist, kann das neue Ideen von anderen behindern.

Es gibt gute Übungen zum Abbau von Statusgefälle. Denn Teams, in denen alle Mitglieder gleichberechtigt sind, haben mehr Ideen und die Stimmung ist besser. Man kann auch üben, Menschen mit einem eher niedrigen Status im Team zu stärken und diejenigen mit einem höheren Status motivieren, auch einmal eine mittlere Position einzunehmen. Auf der Bühne kann man mit solch verschieden Rollen experimentieren.

Das Storytelling kenne ich aus dem Theater, aber wie  werden in der IT Geschichten erzählt?

Bei der Scrum-Methode werden schon gleich zu Beginn die Anforderungen als „user stories“ festgehalten. Man hat Hauptdarsteller und formuliert den Anfang ihrer Geschichte – und zwar bewusst nicht technisch und bewusst unfertig. Das Team soll die Abenteuergeschichte einer Produktentwicklung selbst verfolgen und in Feedback-Schleifen mit dem Kunden weiterschreiben. Der Gedanke dahinter ist: Gute Stories bleiben im Gedächtnis, regen die Kommunikation an und stimulieren Ideen. Und transportieren so die Fachlichkeit der Kundenwünsche. Alle sind sich bewusst: Keiner kennt den Ausgang der Geschichte. Und dann auf der Bühne ist es das Beste, wenn das Publikum mit dem Hauptdarsteller mitfühlt und sich mit ihm identifiziert. Das heißt: Seine Probleme werden meine Probleme. Das, auf IT-Dienstleister übertragen, ist doch die höchste Form der Kundenorientierung.

Du hattest über Empathie als eine Stärke des Improtheaters gesprochen. Inwiefern ist das im IT-Projekt wichtig?

Das Team muss fühlen, wenn der Kunde nicht zufrieden oder wenn ein Kollege überfordert ist. Auf der Bühne kann man diese besondere Form der emotionalen Aufmerksamkeit trainieren. Beim Improtheater hat man kein Skript. Das einzige was man lesen kann ist der Partner auf der Bühne. Er ist die Quelle der Inspiration.

Kannst du dir auch andere Branchen vorstellen, in denen man Improtheater als Methode, um Soft-Skills zu verbessern, einsetzen kann?

Auf jeden Fall. Es erobert ja immer mehr andere Branchen, und zwar insbesondere solche, die komplexe Probleme lösen müssen. Mir fällt das Beispiel eines Werkzeugmaschinenherstellers ein, der Bandsägen herstellt. Ein Betrieb aus einer eher konservativen Branche, der aber wegen seiner komplexen Sonderproduktionen weltweit gefragt ist. Das ist hochindividuell und damit ein Ansatzpunkt für agile Methoden.

Rüdiger Schnirring ist zertifizierter Scrum-Master und arbeitet im Bereich Agile Beratung und  Qualitätssicherung für Software-Entwicklungsprojekte bei der HEC GmbH in der Bremer Überseestadt. Er spielt leidenschaftlich Improtheater. Mit seinem Theaterpartner Boris Radivoj coacht er als „Duo Impronal“ Unternehmen und leitet Improtheater-Workshops. Außerdem hält er satirische Vorträge auf IT-Konferenzen.

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