Wenn’s läuft – KLUB DIALOG

Wenn’s läuft

Über Sommerhitze und Angstschweiß
von  Anja Rose

Ich schwitze. So richtig. Leider aber ist es nicht der angenehm kühlende feuchte Film auf der Haut, der entsteht, wenn man auf dem Rad sitzt, das Letzte aus den Muskeln rausholt, der Körper auf Hochtouren arbeitet und der Fahrtwind die beste Klimaanlage der Welt ist. – Was ein Geniestreich der Natur! Innere Temperatur rauf, Schweißdrüsen an, Feuchtigkeit raus, jetzt einen kleinen Moment Geduld und, ahhhh, alles wieder im Lot. Toll! – Nun, körperliche Anstrengung ist es nicht. Es ist auch nicht dieses im exotisch-romantischen fernen Asien nur zu gerne in Kauf genommene klebrige, subtropische Schwitzen, das sich einstellt, während man die Liste der „Das-musst-du-unbedingt-gesehen-haben“-Highlights abläuft, das sich anfühlt als wäre man ein Dumpling, der im heißen Dunst des Körbchens vor sich hin gart – Sauna wäre an dieser Stelle sicher auch eine passende Assoziation dazu, die mir allerdings nicht in den Sinn kommt, da ich Schwitzen bei körperlicher Untätigkeit für eher unangenehm denn erstrebenswert halte. – Sri Lanka oder Finnland, das ist es jedenfalls auch nicht. Auch keine Grippe, bei der fiebrige Wellen die Hände nasskalt werden lassen und der Schlafanzug klamm und kein bisschen umarmend am Rücken klebt. Und, nein, Strand und Sand und die brütende trockene Urlaubshitze eines mallorquinischen Küstenstreifens sind ebenfalls in unerreichbarer Ferne. Und trotzdem: Es läuft.

Vielmehr: Es läuft nicht. Kein Stück. Und genau das treibt mir den Schweiß auf die Stirn. Ich würde jetzt nicht soweit gehen, von Angstschweiß zu sprechen. – Der, warum noch mal, welchen Sinn hat? Zur Salzsäule erstarrt braucht es eine Kühlung doch eigentlich gar nicht? Ah! Sehr clever: Der Körper ist, dank in Jahrtausenden gesammelter Erfahrungen, klug genug, um zu wissen: Die Bewegung folgt. Quasi stante pede. Die Fluchtbewegung, wenn das wilde Tier erst mal das Maul aufreißt und die spitzen Zähne zeigt, vollführen wir schneller als wir im Hirn den Laut „Aaarrrghhh!“ überhaupt formulieren können. „Reflex“ wäre womöglich die treffendere Vokabel.

Wie dem auch sei, keine Reißzähne in Sicht, der Hintern ruht bequem auf der Sitzfläche meines Arbeitshockers, die Luft ist angenehm, der Kaffee duftet, die Sonne blinzelt durch die Zweige des blühenden Jasminstrauches vor dem Fenster … Und es läuft nichts. Nicht eine Zeile will mir einfallen zu diesem Sommersonnenwohlfühlthema. Dabei ist in Anbetracht der vor der Tür stehenden Ferien kein Verb naheliegender. Sonnencreme, Badehose, Luftmatratze, Eis am Stiel, Sand zwischen den Zehen … Klar. Das ist alles so naheliegend, das schreibt sich fluffigst und von ganz allein! Wenn ich nicht schon wie eine Bugwelle eine Unmenge anderer fluffiger Themen vor mir herschieben würde, die ich, weil die Sonne lockt, der Deich nie grüner und die Luft nie herrlicher war, sorgfältig übereinander geschichtet habe. Der Druck wächst, der Stresspegel steigt – und der Schweiß tritt mir auf die Stirn.

 

Ja, genau. Deswegen nämlich schwitzt es sich auch so manches Mal ganz ohne körperliche Betätigung oder klimatische Rekorde. Stressschweiß entsteht aufgrund von unkontrollierter Muskelanspannung, einer zu hohen Dosis „Das-musst-du-unbedingt“, unterdrücktem Fluchtverhalten und totaler innerer Leere. Sehr unschön. Was dagegen hilft? Nun, die Erfahrung zeigt: Wasser. Drum geh ich jetzt mal, setz mich an der Nordseekante in den Strandkorb, höre den Möwen zu und schwitze in Seelenruhe vor mich hin. Dann läuft’s bestimmt auch wieder.

 

Die Autorin

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