Wie viel Rebellion steckt noch in Graffiti? – KLUB DIALOG

Wie viel Rebellion steckt noch in Graffiti?

„Wir machen heute eine Führung zu Graffiti und Streetart“. Diesen Satz sage ich oft. Meist lächeln die Teilnehmer und wissen, wofür sie sich entschieden haben. Doch einmal war es ganz anders. Vor mir stand eine Gruppe Senioren, alle um die achtzig. Die Dame in der Mitte hatte die Führung schon mal mit ihrem Enkel mitgemacht und sie kurzerhand für ihre Geburtagsgesellschaft gebucht – nur hatte sie es denen nicht verraten. Das durfte ich tun. Also: „Wir machen heute eine Führung zu Graffiti und Streetart“. Stille. Dann: „Warum?“

Ist es rebellisch, sich überhaupt mit Graffiti und Streetart zu beschäftigen? Dazu Führungen anzubieten? Davon zu erzählen sorgt tatsächlich immer mal wieder für entsprechend irritierte Reaktionen – so wurde ich bei einem für seine nachhakenden Fragen bekannten Regionalmagazin mal gefragt, warum wir nicht lieber Führungen zu schönen Sachen anbieten. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe, aber es war ziemlich sarkastisch.

Foto: Katharina Rosen

 

Das Absurde ist: Es gibt Kritiker, die meinen, wir sollten keine Führungen zu Graffiti machen, weil es illegale Aktivititäten beschönigen würde. Und es gibt Sprayer, die meinen, wir sollten keine Führungen zu Graffiti machen, weil es dadurch zum Mainstream würde.

Wir stehen dazwischen und machen es genau deshalb. Im Kunstwissenschafts-Studium hatte ich einen Freund, der mir die Augen geöffnet hat für „seine“ Parallelwelt aus Graffiti- und Streetart. Wir schlenderten durch Städte, guckten unzählige Wände an und mir schwirrte der Kopf vor lauter Bildern, Zeichen und den vielen neuen Begriffen.

Sich mit Graffiti und Streetart zu beschäftigen ist tatsächlich, als öffne man die Büchse der Pandora. Nein, man wird nicht automatisch straffällig und nein, man findet nicht plötzlich alles toll, was man sieht. Aber man kann nicht mehr aufhören. Graffiti und Streetart sind überall – überall anders und doch hängt alles zusammen. Hinter jeder Ecke verbirgt sich ein weiteres Werk und ein neuer Zusammenhang und man fühlt sich ein wenig wie ein Entdecker in der eigenen Stadt, die man so gut zu kennen glaubte.

Foto: Katharina Rosen

 

Die Führung entstand daraufhin als eine Art Türöffner zu dem Thema, eine Einladung zu einem ersten Eindruck und Überblick. Manchmal hat man das Gefühl einen Virus zu verbreiten, z.B. wenn ehemalige Teilnehmer Mails mit Fotos von Graffiti in Belfast schicken, wohin sie gereist sind, weil das Thema sie nun nicht mehr loslässt. Mittlerweile ist die Tour eine der meistgebuchten und Graffiti und Streetart scheint alle zu interessieren: ob Schulklassen, die das Thema für die Zeitung aufbereiten oder die Staatsanwaltschaft, die privat ein Faible für bunte Wände hat.

Wenn sich so viele Menschen für die Werke interessieren, ist das illegale Sprühen, Kleben und Häkeln dann überhaupt noch Rebellion? Was steckt überhaupt dahinter? Auf die Frage, warum machen die Sprayer das, antwortete eine Teilnehmerin mal: „Die sind alle so 16 und wissen nicht, was sie sonst tun sollen.“

Mitnichten! Erstens: Es gibt deutlich ältere Sprayer! Bitte ich 16-Jährige, zu raten, wie alt der oft als Vater des Graffiti in Deutschlands bezeichneten und vor einigen Jahren verstorbenen Hamburger Sprayer OZ war, antworten sie meist etwas wie „36“. Das ist das älteste, was sie sich in der Szene vorstellen können. OZ war 64, was eine Dame vor Kurzem zu dem spontanen Ausruf verleitete: „Na dann kann ich ja auch noch anfangen.“

Zweitens: Die Beweggründe sind so unterschiedlich, wie die Künstler selbst. Manchen treibt vielleicht wirklich die besagte Langweile, doch steckt bei vielen sehr viel mehr dahinter. Vom Verlangen seinen Namen zu verbreiten über den Wunsch, die Stadt bunter zu gestalten hin zu politischen Forderungen. Da sind Sätze, die zum Innehalten anregen, Bilder von niedlichen Tieren, die uns glücklich machen sollen oder der Anti-Gentrifizierungs-Schlachtruf „Steintor bleibt dreckig“. Da ist die Wand, die nachmittags weiß gestrichen wird und auf der morgens in riesigen Buchstaben „Schöne weiße Wand“ steht. Das „Yuppies piss off“ über der Tiefgarage in der auf den Eigentümerstellplätzen mittlerweile ein Jaguar neben dem anderen steht.

Irgendwann in den letzten Jahren habe ich mich gefragt, ob wir unsere Führung weiterhin im Viertel anbieten können, weil es hier immer schicker wird und ein altes Graffiti nach dem anderen verschwindet. Den Gedanken habe ich schnell wieder verworfen, denn kaum ist ein Haus renoviert, wird neu gesprüht. „Ob ich das denn gut finde, wenn das passiert“ werde ich oft gefragt. Die Antwort ist zu lang für diesen Text und veranlasste vor Kurzem Schüler dazu, für ihr Interview einfach zu notieren „Weiß sie nicht.“

Denn das Spannende ist genau diese Frage: Was macht Graffiti mit uns? Was finden wir schön, was ist für uns Sachbeschädigung? Finden wir Sachen gut, solange wir nicht geschädigt sind? Müssen wir über manche Ideen schmunzeln, haben gar Respekt vor Können und Mut?

Foto: Katharina Rosen

Die Sprayer der ersten Stunde sind mittlerweile selbst älter geworden. Manche lassen sich von Schulklassen geduldig Löcher in den Bauch fragen, geben Workshops und leisten Jugendarbeit, andere bieten ihr Können im Rahmen von Auftragsarbeiten an – auch als Schutz vor illegalem Graffiti. Wieder andere kritisieren sie genau dafür.

In einer der letzten Touren habe ich mich versprochen und sagte „Selbst so ein simples Motiv wie ein paar grüne Blätter ist ein guter Schutz vor Auftragsarbeiten.“ Was ist denn nun schlimmer? Das illegale Graffiti, dass das Viertel so prägt oder die Auftragsarbeiten, die es verdrängen? Wie ist das in einem Quartier, in dem bisher wohl kaum einer nachts aus dem Bett sprang, wenn er das Zischen einer Sprühdose hörte? Wo die Wände so kunterbunt sind, dass die meisten daran vorbeigehen ohne davon Notiz zu nehmen?

Foto: Katharina Rosen

Wenn das alles für uns so normal geworden ist, ist das Sprühen überhaupt noch Rebellion? Was ist geworden aus dem Ruf „reclaim the streets“? Ist Graffiti ein vom Aussterben bedrohtes Kulturgut? Und ist es gerade deshalb wieder so wichtig?

Im Viertel gibt es die Filiale eines Modelabels, das den Aufruf, sich durch Konsum zu beglücken im Namen trägt. Unter dem schreiend bunten, gesprühten Slogan über der Tür hatte jemand vor einer Weile mit schwarzem Edding zwei klitzekleine Worte geschrieben: „ Klappt nicht.“ Rebellion. Oder?

Nachtrag: Am Sonntag waren zwei junge Mädchen dabei, die ich fragte, wie sie auf die Tour gekommen seien. Ihre Antwort: „Wir waren bei einem Pralinenseminar, da waren zwei alte Damen, die uns davon vorgeschwärmt haben. Und wir dachten, wenn die sich ihrem Alter für Graffiti interessieren, dann müssen wir uns das wohl auch mal angucken.“ 
Und die Seniorengruppe hat sich damals doch auf die Tour eingelassen. Der Herr, der später Fotos aus Belfast schickte, war einer von ihnen.

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